Markus Selg Sublimation / Simulation (Shadow of the Eye)
In this exhibition, his sixth solo show with Galerie Guido W. Baudach, Markus Selg examines the implications and meanings of working under the consequences of an unsubstantiated world, a world gone through total codification and turned into digital data, into an anonymous flow of bits and bytes. The works themselves are technologically produced. They are comprised of images the artist finds on the internet, of simulations, virtualized materials without presence, which seem illusionistic and imitative at first sight but in fact rely on the liquidation of all referents. Selg’s images do not copy things, they are the appearance of the world as a copy without origin.
The central section of the exhibition is a heterogenic group of collagistic prints on canvas. After a long period of narrative figuration, Selg has lately reduced his work into an abstract vocabulary. His recent digital paintings, whose palette still is the internet, include segmented samples-like patterns of different materials, textures and surfaces from an unidentifiable source. One can guess that in front of us are samples of marble, stone, fabric and tin, or fragments of cave paintings, murals and hieroglyphs, but all these intimations, rather than create knowledge, promote uncertainty and are experienced as indeterminate states. These works, executed with a technique called sublimation printing, enable the artist to implement perceptual and cognitive cracks, to expose the seemingly seamless screen of the virtual world as a thin crust that is now cracked open. They show us that this world is not a smooth screen, that the stability of the object’s content and contours is a deceptive indoctrination. That all changes and moves constantly.
The exhibition’s title announces two transformative operations: Sublimation and Simulation. It reveals the mechanism of the exhibition, defining each of the works as an index, result, effect of transformative occurrences, caused by conversion of libidinal energy into socialized motivation (sublimation in psychoanalysis), by transition of a substance’s state of matter from solid to gas (chemical sublimation), and by model-based generation of reality as hyperreality, as a system of self-denotative, unreferential signs (simulation).
The e-mail invitation indicates an image which is a good example of how Selg initiates and handles these occurrences, underlying each of the exhibition’s works. Incorporating a photograph by Czech artist Adam Holý it can be described as a transformation caused by the two types of sublimation mentioned above. While engaging in aestheticizing and neutralizing human sexuality, the invitation’s image also involves a chemical sublimation, i.e., a process during which the physical body becomes a recorded light, a photograph.
In The Beauty of a Jpeg – Compression (she/he), the relationship between a sculptural object and a photographic print is less polar and confrontational, but no less frictional. An anthropomorphized sculpture of a body with no extremities is placed upon a plinth whose upper surface is covered by a computer-generated print of a pixelated colors pattern. The creatural sculpture has androgynous features, it is both male and female, a mutative body and a mythological figure. The pixelated pattern demonstrates a process of turning a legible image into an illegible deformation, a result of an unsuccessful data compression. Both the sculpture and the surface upon which it is placed are different forms of decomposition. They both represent loss of characteristic information. They point at the category of distinctive identity as irrelevant. They formulate an algebra-like equation where each of them is an unknown, a variable.
Markus Selg uses technological deformation as a provider of abstraction. For him technology is not an equivalent of scientific knowledge but of haze and vagueness. He conceptualizes the technological as mythological and irrational. In the works Shadow of the Eye and Refuge (Ganvie) this approach is fully uttered. The Shadow of the Eye is a canoe sealed with a print of an eye and Refuge (Ganvie) is a multichannel video with footage shot by Selg from a floating canoe in Benin, Africa. The eye in the Shadow of the Eye is directed upward but cannot reflect the all-seeing eye. This eye is a missing reflection, a reflection of a reflection of a reflection. It is a blind eye. Selg changes the symbol of Divine Providence into a surreal, subjective expression. It is no longer omniscient and transcendental. It becomes a metonym of desublimation, of the incapability to foresee, to know, to predict.
Ory Dessau
In dieser Ausstellung, seiner sechsten Einzelpräsentation mit der Galerie Guido W. Baudach, untersucht Markus Selg die Umstände und Auswirkungen des Arbeitens innerhalb der Logik einer substanzlosen, immateriellen Welt, einer Welt, die von völliger Verschlüsselung erfasst und in digitale Daten, in einen anonymen Strom von Bits und Bytes umgewandelt ist. Die Werke selbst sind von einem technologischen Produktionskontext geprägt. Sie entstehen aus Bildmaterial, das der Künstler im Internet findet, aus Simulationen, virtualisierten Elementen ohne stoffliche Präsenz, welche auf den ersten Blick illusionistisch und mimetisch erscheinen, tatsächlich aber auf der Aufhebung jeglichen Bezugs beruhen. Selgs Bilder kopieren keine Dinge, sie sind die Erscheinung der Welt als Abbild ohne Ursprung.
Zentrum der Ausstellung ist eine heterogene Gruppe von collageartigen Drucken auf Leinwand. Nach einer längeren narrativ-figurativen Schaffensphase hat Selg sein Werk unlängst auf ein abstraktes Vokabular reduziert. Seine aktuellen Digitalbilder, bei denen er sich wie ehedem auch des Internets als Palette bedient, erscheinen als segmentierte Material-, Textur- und Oberflächensamples unbestimmbarer Herkunft. Sie lassen an Warenmuster von Marmor-, Stein-, Stoff- und Metallsorten oder Bruchstücke von Höhlenmalereien, Wandreliefs und Hieroglyphen denken, doch statt die Kenntnis ihrer zu mehren, schaffen all diese Assoziationen zusätzliche Verunsicherung und werden lediglich als kaum hinreichende Zuschreibungen erfahren. Die Beschaffenheit der Werke, die im sogenannten Sublimationsdruckverfahren realisiert werden, ermöglichen es dem Künstler, perzeptuelle und kognitive Brüche in diese einzufügen und so die scheinbar nahtlose Verfasstheit der virtuellen Welt als dünnen Firnis zu entlarven und diesen gleichzeitig aufzureißen. Die Bilder zeigen, dass diese Welt keine so geschmeidige Oberfläche besitzt, dass die Beständigkeit des Gegenstandes hinsichtlich seiner Form und seines Inhalts eine hartnäckige Täuschung ist und dass alles sich fortwährend im Fluss befindet und verändert.
Der Ausstellungstitel verweist auf zwei Techniken der Verwandlung, Sublimierung und Simulation. Er legt damit gleichsam die Systematik der Ausstellung frei und definiert jede der gezeigten Arbeiten als Index, Ergebnis und Konsequenz von transformativen Prozessen, hinter denen die Verwandlung von libidinösen Energien in soziale Initiativen stehen (Sublimierung im psychoanalytischen Sinn), der Übergang eines Stoffs von einem festen in einen gasförmigen Aggregatszustand (chemische Sublimierung) und die modellbasierte Generierung von Wirklichkeit als Hyperrealität, als System von auf sich selbst verweisenden, referenzlosen Zeichen (Simulation).
Die Email-Einladung zur Ausstellung zeigt ein Bild, welches ein gutes Beispiel dafür ist, wie Selg die Umwandlungen, die jedem der gezeigten Werke zugrunde liegen, initiiert und handhabt. Eine Fotografie des tschechischen Künstlers Adam Holý aufnehmend, kann es als Transformation der beiden oben beschriebenen Formen der Sublimierung beschrieben werden. Das Bild bearbeitet die Ästhetisierung und Neutralisierung menschlicher Sexualität und bezieht zugleich die chemische Sublimation mit ein: d.h. den Prozess, in dem der physische Körper in aufgezeichnetes Licht – ein Foto – verwandelt wird.
In The Beauty of a Jpeg – Compression (she/he) ist das Verhältnis zwischen skulpturalem Objekt und fotografischem Druck weniger direkt und konfrontativ, aber durchaus nicht weniger spannungsreich. Die anthropomorph gestaltete Skulptur eines Körpers ohne Extremitäten ist auf einen Sockel gestellt, dessen Oberseite mit einem computergenerierten Druck eines gepixelten Farbmusters beschichtet ist. Die figürliche Plastik zeigt androgyne Züge, ist männlich und weiblich zugleich, ein wandlungsfähiger Körper, eine mythologische Figur. Das Pixelmuster veranschaulicht die Verwandlung eines lesbaren Bildes in eine unlesbare Deformation, Ergebnis einer fehlgeschlagenen Datenkompression. Beide, die Skulptur wie auch die Oberfläche, auf der diese ruht, verweisen auf unterschiedliche Formen der Zersetzung. Sie beide repräsentieren den Verlust charakteristischer Information und kennzeichnen die Kategorie der unverwechselbarer Identität als bedeutungslos. Sie formulieren eine Art algebraischer Gleichung, in der sie beide als Unbekannte, als Variablen erscheinen.
Markus Selg benutzt technologische Deformation als Abstraktionslieferant. Für ihn ist Technik kein Äquivalent wissenschaftlicher Erkenntnis, sondern etwas Undurchsichtiges, Vages; er konzeptualisiert Technologie mythologisch und irrational. In den Arbeiten Shadow of the Eye und Refuge (Ganvie) tritt diese Herangehensweise besonders deutlich hervor. Shadow of the Eye ist ein mit einem Druck, der ein Auge zeigt, versiegeltes Kanu; Refuge (Ganvie) ist eine Mehrkanal-Videoinstallation mit Bildmaterial, welches Selg von einem Kanu aus in Benin in Afrika gefilmt hat. Das Auge in Shadow of the Eye blickt nach oben, reflektiert aber keineswegs ein allsehendes Auge; Vielmehr ist dieses Auge eine verfehlte Spiegelung, ein Spiegelbild eines Spiegelbildes eines Spiegelbildes, ein blindes Auge. Selg verwandelt das Symbol göttlicher Vorsehung in eine ebenso surreale wie subjektive Gestalt. Nicht länger allwissend und transzendental, wird es zur Metonymie der Desublimierung, der Unfähigkeit vorauszusehen, vorauszusagen, zu wissen.
Ory Dessau