Thomas Helbig Anciens Régimes

Galerie Guido W. Baudach is pleased to present its tenth solo exhibition of works by Thomas Helbig. Under the title Anciens Régimes, the Berlin-based artist is showing new paintings and wall objects.
It is knowledge in the material of colors and contours, and the greater [the artwork] is, the closer it approaches the transparency of the last memory picture, in which the features of “history” merge. - Siegfried Kracauer
If in an earlier solo exhibition at Galerie Guido W. Baudach in 2020 Thomas Helbig pushed the boundaries of what can be depicted in painting with breath-like shapes against a cosmic-looking background, with Anciens Régimes he is now moving in the supposed opposite direction, that of figuration. On display are, among others, anonymous portraits of people in historical clothing reminiscent of the Rococo. What they have in common is their open, inconsistent form: A head is displaced, does not fit the body, a face is partially blurred, the body mutatingly expands into the surrounding space or is pierced by it. In another work, the body seems to be drawn out of the picture ground into the light, the face becomes its simultaneous embodiment, a star. It is not for nothing that the term portrait goes back to the Latin word prō-trahere for 'to bring to light' and 'to draw forth'.
The blending of the painterly and the depicted is comprehensive and essential in Helbig's oeuvre. The abstract pictorial spaces that have pervaded Helbig's painterly work latest since the ‘00s can thus be seen as the universe that surrounds us as well as the cosmos of painting itself, in both manifestations of which a constant coming and elapsing is included. The often gloved hands that repeatedly appear in Helbig's paintings can also be interpreted in this way. Hands are symbolic of the power to create and the will to rule; just think of the hands of God and Adam touching in front of the heavenly surroundings in Michelangelo's depiction of The Creation of Adam. At the same time, in works of the Baroque, but also in modern and contemporary art, it is the hands that indicate how artists reflect on their work in the tension between intellectual design and concrete execution. In view of this iconographical narrowing of head and hand, it is remarkable that Helbig's hand usually appears separately from the rest of the body, if not as an isolated element. Detached in this way, it is completely absorbed in its deictic symbolism. In this sense, the hand, freed from domination, refers to abstract, infinite space as well as to the material of the colors and contours, from which, to paraphrase the initially quoted Siegfried Kracauer, a knowledge of its own emanates. According to Kracauer, the mere surface must be destroyed for the representation of a supra-temporal meaning, because: “Even the work of art disintegrates in time; but from its crumbled elements rises what is meant by it[.]”
Where the independent hand blends almost harmoniously into the space of the painting, the various limbs in Helbig's wall objects give the impression of a deliberate fragmentation. The dark lacquered assemblages, some of which are decorated with massive ornaments, spread out like wings between baroque and technoid impressions. Sculptural body parts such as legs, children's feet or fingers – all found objects from the world of toys and decoration – are draped into them. Depending on the degree of stylization, they look like ornaments or relics of a sinister cult with practices similar to those that appear in Marquis de Sade's story The 120 Days of Sodom or in David Cronenberg's film Crash.
One might be tempted to see Thomas Helbig's paintings and sculptures as an expression of a dichotomous world view between order and chaos, good and evil. However, this would not only be too short-sighted, but also a misunderstanding, as Helbig's artistic practice is by no means associated with a morality of either/or. Instead of following corresponding guidelines, i.e. regimes, his works resist any reduction of their context. At the same time, in their characteristic amalgam of formal and thematic fragments from art and cultural history, they reveal their very own poetry of specific pictorial power.
– Cora Waschke
Die Galerie Guido W. Baudach freut sich, ihre zehnte Einzelausstellung mit Arbeiten von Thomas Helbig zu präsentieren. Unter dem Titel Anciens Régimes zeigt der in Berlin lebende Künstler neue Malereien und Wandobjekte.
Es ist Erkenntnis im Material der Farben und Konturen, und je größer [das Kunstwerk] ist, desto mehr nähert es sich der Transparenz des letzten Gedächtnisbildes an, in dem sich die Züge der „Geschichte“ zusammenschließen. - Siegfried Kracauer
Wenn Thomas Helbig in einer früheren Einzelausstellung in der Galerie Guido W. Baudach im Jahr 2020 mit odem-artigen Formgebungen vor einem kosmisch anmutenden Hintergrund an die Grenzen des Darstellbaren in der Malerei gegangen ist, so bewegt er sich mit Anciens Régimes nun in die vermeintlich entgegengesetzte Richtung, die der Figuration. Zu sehen sind unter anderem anonyme Portraits von Menschen in historischer Kleidung, die an das Rokoko erinnert. Gemeinsam ist ihnen ihre offene, uneinheitliche Form: Ein Kopf ist verschoben, passt nicht zum Körper, ein Gesicht ist teilweise verwischt, der Körper dehnt sich mutierend in den Umraum aus oder wird von diesem durchbohrt. In einem weiteren Bild scheint der Leib aus dem Bildgrund heraus ins Licht gezogen zu werden, das Gesicht wird gleichsam zu dessen Verkörperung, zum Gestirn. Nicht umsonst geht der Begriff Porträt auf das lateinische Wort prō-trahere für ‚ans Licht bringen‘ und ‚hervorziehen‘ zurück.
Die Überblendung von Malerischem und Dargestelltem ist bei Helbig umfassend und essentiell. So können die abstrahierten Bildräume, die Helbigs malerisches Werk spätestens seit den Nullerjahren durchziehen, als das uns umgebende Weltall wie als Kosmos der Malerei an sich betrachtet werden, in derer beider Manifestationen ein stetiges Werden und Vergehen inbegriffen ist. Dahingehend lassen sich auch die in Helbigs Bildern immer wieder auftauchenden, oft behandschuhten Hände deuten. Hände stehen sinnbildlich für Schaffenskraft und Herrschaftswillen; denken wir nur an die sich vor dem himmlischen Umraum berührenden Hände von Gott und Mensch in Michelangelos Darstellung der Erschaffung Adams. Zugleich sind es die Hände, die in Werken des Barock, aber auch der Moderne und der Gegenwart andeuten, wie Künstler*innen ihre Arbeit in der Spannung zwischen geistigem Entwurf und konkreter Ausführung reflektieren. Angesichts dieser ikonographischen Engführung von Kopf und Hand ist es bemerkenswert, dass die Hand bei Helbig meist getrennt vom restlichen Körper, wenn nicht sogar als vereinzeltes Element auftaucht. Derart losgelöst, vermag sie ganz in ihrer deiktischen Symbolik aufzugehen. In diesem Sinne verweist die herrschaftsbefreite Hand auf den abstrakten, unendlichen Raum ebenso wie auf das Material der Farben und Konturen, von denen, um mit dem eingangs zitierten Siegfried Kracauer zu sprechen, eine eigene Erkenntnis ausgeht. Laut Kracauer muss für die Darstellung einer überzeitlichen Bedeutung der bloße Oberflächenzusammenhang zerstört werden, denn: „Auch das Kunstwerk zerfällt in der Zeit; doch aus seinen zerbröckelten Elementen steigt das mit ihm Gemeinte auf[.]“
Wo die selbstständige Hand geradezu harmonisch in den Allraum der Malerei eingeht, drängt sich bei den verschiedenen Körpergliedern, die in Helbigs Wandobjekten anzutreffen sind, der Eindruck einer bewussten Zerstückelung in den Vordergrund. Zwischen barocker und technoider Anmutung breiten sich die dunkel lackierten, mit teils wuchtigen Ornamenten verzierten Assemblagen flügelartig aus. Die plastischen Körperteile wie Bein, Kinderfuß oder Finger – durchweg Fundstücke aus der Spielzeug- und Deko-Welt – sind in diese hinein drapiert. Je nach Stilisierungsgrad wirken sie wie Zierrat oder wie Reliquien eines sinistren Kultes mit Praktiken ähnlich denen, wie sie in Marquis de Sades Erzählung Die 120 Tage von Sodom oder in David Cronenbergs Film Crash auftauchen.
Man könnte versucht sein, die Gemälde und Plastiken von Thomas Helbig als Ausdruck eines dichotomen Weltbildes zwischen Ordnung und Chaos, Gut und Böse aufzufassen. Doch wäre dies nicht nur zu kurz gegriffen, sondern ein Missverständnis, da Helbigs künstlerische Praxis keineswegs mit einer Moral des Entweder/Oder verbunden ist. Statt entsprechenden Vorgaben, sprich: Regimen, zu folgen, sträuben seine Arbeiten sich gegen jegliche Verkürzung ihres Kontextes. Gleichzeitig weisen sie in dem für sie so charakteristischen Amalgam aus formalen wie inhaltlichen Fragmenten der Kunst- und Kulturgeschichte eine ganz eigene Poesie von spezifischer Bildmächtigkeit auf.
– Cora Waschke